Geschrieben am 07.05.2013 00:08:30
Von
HannesP
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Bei allem Respekt und aller vorstellbarer Sympathie für Utopien - ich traue keiner.
Ich bin in der DDR in Potsdam aufgewachsen. In der Schule haben uns die SED-Lehrer schöne Geschichten vom Pferd erzählt. Der Kommunismus - die mächtigste Utopie der vergangenen Jahrzehnte - als Religionsersatz. Die Realität sah etwas weniger glorreich aus. Wenige Hundert Meter hinter unserer Teeniedisko lag West-Berlin. Dazwischen leider ganz realsozialistisch Mauer, Stacheldraht, Selbstschussanlagen und Schießbefehl.
Wenn unsere Familie im Sommer zur Ostsee fuhr, durfte man wegen Fluchtgefahr keine Luftmatratze zum Planschen im kalten Ostseewasser benutzen. Nach Sonnenuntergang war Badeverbot. Abends bildete sich eine dichte Kette aus DDR-Kriegsschiffen, die mit Suchscheinwerfern über die Badeküste Rügens streiften, damit niemand in die Freiheit abhauen konnte.
Natürlich gab es auch in der DDR aufrechte Utopisten, die sich den Sozialismus in ehrenvollster Überzeugung und den schillerndsten Farben ihrer Utopien schönsangen. Wolf Biermann war so einer. Wenn Honecker das wüsste, wäre alles besser. Die Utopie war so leuchtend, nur die Realität eben so blutig.
Und natürlich habe ich in der DDR auch aufrechte Christen erlebt. Leider tauchte dann so mancher von ihnen später in der Decknamenkartei als langjähriger Stasispitzel auf. Sicher - Jesus persönlich hätte alles besser gemacht. Schuld war die Kirche.
Das ist alles Selbstbetrug.
Ich habe den Wehrdienst in der DDR verweigert und bin mit 18 in den Westen.
Wenn mir an etwas liegt, ist das eine wenigstens halbwegs lebenswerte Realität mit einem gern ausbaubaren Bodensatz bürgerlicher Freiheitsrechte.
Mein Bedarf an Utopien ist für dieses Leben gedeckt. Sie haben einen unüberwindlichen Feind: die Realität.
Heute fahre ich jeden Abend von meiner Arbeit im ehemaligen Westteil Berlins über die als Agentenschleuse des Kalten Krieges bekannte Glienicker Brücke in meine Wohnung nach Potsdam und gehe dort im Park Sanssouci joggen. Utopien - nein danke. Ich bin ein sehr großer Freund der Realität.
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