Reiseziel auswählen



Reiseziel-Sponsoren Reiseziel-Sponsor werden

Asites

Von Margaretha R. Hopfner

Asites, genauer Ano Asites, lernte ich ein wenig kennen auf einem gebuchten Ausflug in das sogenannte "ländliche Kreta", jenem Teil Kretas, der abseits der grossen Touristenorte zu finden ist, also im Grunde dem größten Teil Kretas. Denn obwohl Eiland mitten im mittelländischen Meer, hat Kreta aufgrund seiner geografischen Besonderheiten, seine gebirgige Landschaft und Hochebenen über weite Ausdehnungen quasi-kontinentales, ja hochalpines Klima, ist das Leben der Einwohner im Landesinneren von strengem Traditionalismus geprägt in relativ engen dörflich-agrarischen Strukturen organisiert, und es gibt es in manchen Bergdörfern sogar ältere Menschen, die noch nie das Meer gesehen haben sollen. Und wegen all dieser Besonderheiten sprechen Kreter von "ihrem Land" gar als eigenem Kontinent.

Asites ist wie manche andere Orte in Kreta - zum Beispiel Rodakino im Süden - in zwei dörfliche Verbände, ein Ano Asites und ein Kato Asites gegliedert, die unweit voneinander liegen. Es befindet sich am östlichen Fuß des Ida-Gebirges, das sich mit seinem höchsten Berg, dem Psiloritis (2456 m), wie eine Schutzmacht im Hintergrund majestätisch erhebt. Es ist umgeben von Hügelketten, einigen schönen Schluchten und von Kretas Hauptstadt Heraklion etwa 24 km entfernt.

Bei Schönwetter im Juni legte sich um die Mittagszeit eine trockene sengende Hitze über meinen Unternehmungsgeist, und ich fragte mich, ob ich hier wohl auf Dauer leben könnte und wollte, ohne die Möglichkeit, jederzeit bei Bedarf Abkühlung im Meer zu finden. Nach einem Spaziergang durch die blumenüberwachsenen engen Dorfgassen besuchten wir die südlich von Ano Asites gelegene Grotte und die dort befindliche Kapelle des Hl. Haralambos am Eingang zur gleichnamigen Schlucht und hörten eine jener zahlreichen Geschichten von Unterdrückung und kretischem Widerstand während der Türkenherrschaft, wie sie wohl in allen Orten Kretas mit Stolz und in unzähligen Variationen erzählt werden. Danach wurden wir mit kretischen Spezialitäten - diversen Vorspeisen, Fleisch und Kartoffeln aus dem Holzofen, eigenangebautem Wein - bewirtet und konnten auf dem Rückweg zu unserem Bus noch einen Hersteller von Ziegen- und Schafglöckchen in seiner Werkstatt besuchen und fanden im Anschluß daran dann Einlass in eines jener winzigen, jedoch auch noch in ärgster Hitze kühlen Steinhäuser, in denen auf bescheidenstem Niveau, aber inmitten wunderschöner Handarbeiten und auf jeden Fall mit einer Raki-Destillieranlage Generationen von Kretern die Zeiten überdauert haben. Zudem erhielten wir Gelegenheit, uns in einer Imkerei umsehen, so weit das trotz der umherschwirrenden Bienen möglich war.

Honig ist neben der Kultivierung des Olivenanbaus eines der archaischen Produkte Kretas, und wer kennt sie nicht, die "Goldenen Bienen" aus dem Zeitalter der Minoer, jenen tausende Jahre alten Schmuckanhänger aus purem Gold, den wir im archäologischen Museum in Heraklion neben vielen anderen sensationellen Fundstücken aus minoischer Zeit bewundern können. Etwa 30 Millionen Olivenbäume soll es auf ganz Kreta geben, und die allermeisten Kreter, auch jene, die in den Städten leben, haben auf dem Land einen Olivenhain, den sie hegen und pflegen. Thymianhonig und Olivenöl, nie kehre ich ohne diese Produkte des ländlichen Kreta, ohne ein klein wenig vom Gold Kretas, in meine mitteleuropäische Heimat zurück, auch Bergtee und Kräuter für meine Küche vergesse ich nicht, um auf diese Weise das Jahr hindurch - besonders in den dunklen Wintermonaten - Kretas Sonne, Erde und Düfte in mich aufnehmen zu können.

Ich stelle mir vor, wie schön es wohl sein könnte, einmal - trotz der Hitze - länger als nur ein paar Stunden, vielleicht einige Tage oder Wochen, vielleicht im milderen Frühjahr, das die ganze Insel in ein Blütenmeer verwandelt, in Asites oder in einem anderen abgelegenen Dorf Kretas zu verweilen, um tatsächlich den herben und zugleich unvergleichlich zärtlichen Charme des dörflichen Lebens hier kennenzulernen.

Link

Kreta - Mein erstgeborenes Land

Geschrieben 25.10.2001, Geändert 25.10.2001, 2853 x gelesen.

Was möchtest du?

Kommentare zu diesem Artikel

Bisher gibt es noch keine Kommentare.